Zwischen Verantwortung, Sehnsucht und Fußball für alle

Der Versuch ein paar ehrlicher Worte...

 

Bereits im Frühjahr 2020, als der Fußball für einige Wochen stillstand, sprachen Fans und Verein das erste Mal darüber, wie eine Rückkehr ins Stadion aussehen könnte. Die Sehnsucht war damals schon enorm, daher sollte es ein großes Fest und eine gemeinsame Aktion geben, die in diesen Zeiten das Zusammengehörigkeitsgefühl unserer Glubbfamilie unterstreichen sollte. Dieser Tag sollte ein Tag der Freiheit sein und nicht von Ungewissheit geplagt werden, wie es Woche für Woche weitergehen würde. Unser Wunsch war es zudem, dass möglichst alle Glubbfans diesen Tag feiern können. Dieser Wunsch hat sich über die Zeit verfestigt und wir verfolgen ihn nach wie vor!     

 

Über Inzidenzen, Krankenhaus-Ampeln oder Delta-Varianten machten wir uns damals freilich keine Gedanken, trotzdem waren wir überrascht, wie schnell der Fußball wieder zum business as usual überging. Es ging den Liga- und Vereinsfunktionären nicht schnell genug und es mussten auch nicht alle dabei sein. Erinnert ihr euch noch? Wir ALLE haben ihnen diese zwei Kritikpunkte angelastet. Zwei Versäumnisse, die wir daher nicht begehen werden: wir werden nichts überstürzen und wir wollen auch niemanden zurücklassen!

 

Wer bis heute unser bisheriges Fernbleiben auf eine Corona-leugnende Haltung schiebt, der irrt also gewaltig. Wir haben diese Pandemie immer ernst genommen und wurden als große, soziale Gemeinschaft früher als die meisten anderen mit allen Facetten dieser Pandemie konfrontiert. Wir haben lange darauf verzichtet, trotz Geisterspiele der Mannschaft hinterherzufahren oder zu großen Zusammenkünften in unsere Räumlichkeiten einzuladen, wie wir es vorher nach jedem Heimspiel taten, und tun es aktuell wieder – zum Schutz unserer Gemeinschaft. Wir haben schon zu Beginn der Pandemie durch Spendenaktionen oder Einkaufshelfer Verantwortung übernommen und tun es aktuell wieder – zum Wohle der Gemeinschaft. Und dennoch ist die Glubbfamilie in dieser Frage aber auch nur ein Spiegelbild der Gesellschaft – in allen Zahlen, Daten, Fakten und Meinungen. Das heißt: Es wird auch in unserer Gruppe im gleichen Maße über Sinnhaftigkeit der Corona-Maßnahmen, Einschränkungen und den Umgang damit diskutiert. Mit einem Unterschied: Während es jeder da draußen kennt, wie diese Diskussionen Familien spalten und langjährige Freundschaften zerstören, weiß unsere Gruppe mit unterschiedlichen Meinungen umzugehen, ohne sie in Schubladen zu stecken. Wir mögen sie nicht teilen, wir mögen sie vielleicht sogar abstrus finden, wir werden aber immer zuerst einen gemeinsamen Weg suchen, bevor wir es uns einfach machen und getrennte Wege gehen. Unser gemeinsamer Weg lautet, mit möglichst allen Glubbfans wieder zusammen ins Stadion zu können.      

 

Wenn man die Pandemie jedoch ernst nimmt, dann stellt einen genau dieser Wunsch vor große Herausforderungen. Als große, soziale Gemeinschaft tragen wir Verantwortung. Mehr noch: wir müssen einander Rücksicht nehmen. Natürlich wissen wir, dass von heute auf morgen nicht alle Maßnahmen fallen gelassen werden. Das fordern wir auch gar nicht. Daher sind für uns bestimmte Pandemie-bedingte Einschränkungen in Pandemie-Zeiten akzeptabel, trotz eines politischen Schlingerkurses, der uns allen viel Verständnis und Vertrauen abverlangt. Zudem liegt es in der Natur einer Gruppe, für die die Freiheit ein hohes Gut darstellt, Einschränkungen grundsätzlich zu hinterfragen, insbesondere wenn diese direkten Einfluss auf den Stadionalltag haben. All das macht es für uns als gebrannte Kinder schwer, das richtige Maß und nötige Gleichgewicht zu finden.

 

Wir haben uns dabei auf folgenden Leitsatz geeinigt: Die Hürden eines jeden Glubbfans für einen Stadionbesuch müssen so gering wie möglich, zumutbar und sinnvoll sein! Eine Einstellung, die wir nicht erst seit Corona verfolgen, sondern seit jeher Bestandteil unseres Wertekompasses ist und sich bereits in vielen Bereichen als wertvolle Orientierungshilfe erwiesen hat. So haben wir uns immer für moderate Eintrittspreise, fangerechte Anstoßzeiten und gegen eine Zwei-Klassen-Gesellschaft beim Fußball ausgesprochen und uns auch in diesen Punkten nicht spalten lassen! Fußball darf nicht für Ausgrenzung, gleich welcher Art, stehen – und gleichzeitig muss er in Zeiten wie diesen verantwortungsvoll handeln. Mittlerweile haben wir in vielen Gesprächen mit anderen Fans und dem Verein einen Weg erarbeitet, welcher beidem gerecht wird.

 

Dieser Weg bietet eine Perspektive! Dieser Weg ist auch nicht von irgendeiner G-Regel abhängig, denn am Ende stellt sich für uns nur eine übergeordnete Frage: Ist ein Stadionbesuch für größere Gruppen – auf fanpolitischer, pandemischer und sozialer Ebene – in diesen Zeiten möglich und wenn ja, wie? Nichts, was man mal eben mit ja/nein beantworten könnte und immer wieder anderen Voraussetzungen unterlag. Daher benötigten wir nicht nur Antworten zum Thema der Zugangsbeschränkungen, sondern vor allem auch zu scheinbar nebensächlichen Themen wie der gemeinsamen Treffpunkte. Während wir uns als Individuum viele dieser Fragen gar nicht gestellt haben, mussten wir sie als soziale Gruppe plötzlich beantworten. Diese waren jedoch elementarer Natur, denn der soziale Aspekt im Rahmen eines Stadionbesuches ist genau das, was die Glubbfamilie aus- und einen Stadionbesuch einzigartig macht!

 

Leider ist der ausgearbeitete Weg auf dem Höhepunkt einer Pandemie nicht gangbar.

 

Darüber beschweren wir uns nicht und suchen auch nicht nach Schuldigen. Wir werden nichts erzwingen, weil wir unseren Wunsch nach einem „Fußball für alle“ abwägen müssen. Mehr noch: Wir müssen die Frage in den Raum werfen, ob der Fußball aktuell nicht besser eine weitere Denk- und Spielpause benötigt. Offensichtlich besteht noch ordentlich Nachholbedarf in Sachen selbst auferlegter Demut, geändert hat sich nach den großen Worten von Christian Seifert jedenfalls nicht viel. 

 

In eine große Sinnkrise sind aber auch wir Fans geraten, denn angesichts des katastrophalen Zustandes, in dem sich unser Lieblingssport befindet, war es gar nicht mal so leicht, sich klarzumachen, warum wir ihm einst so verfallen waren – und immer noch hinterherrannten. Freilich, als Kinder wollten wir einfach nur unseren Idolen zujubeln, mit den Jahren fiel es jedoch schwerer, Spieler anzuhimmeln, die sich vom zujubelnden Publikum immer mehr entfernten. Je länger wir darüber nachdachten, desto deutlicher wurde es: die Seele des Fußballs sind wir Fans und mit unseren Werten verleihen wir ihm (s)einen Charakter. In zahlreichen Diskussionen und Gesprächen mit anderen Fans sind wir auf sieben Werte gekommen, die für uns die Essenz eines Stadionbesuchs ausmachen und überhaupt erst eine Rückkehr ermöglichen. An ihnen messen wir uns, an ihnen messen wir unseren Verein, an ihnen messen wir den Fußball! Diese sind Vereinsidentität, Traditionsbewusstsein, Kreativität, Treue, Widerstandsfähigkeit, Zusammenhalt und Freiheit. Werte, die aktuell stark auf die Probe gestellt werden, uns jedoch dabei helfen, einen Weg zurückzufinden.

 

Denn natürlich fühlt es sich nicht gut an, vor dem Stadion auf bessere Zeiten zu warten. Natürlich lassen wir Mannschaft und Kurve im Stich. Natürlich fehlt mit uns „etwas“ im Stadion, aber bei aller Kritik: Lasst mal die Kirche im Dorf! Gemessen an den rund 700 Spielen der letzten 20 Jahre sind die paar Partien seit dem Rostock-Heimspiel ein Wimpernschlag und wir werden auch nach unserer Rückkehr wieder genug Möglichkeiten haben, unsere Treue unter Beweis zu stellen. Es gibt also keinen Grund, uns irgendwas abzusprechen. Nach allem, was in den Monaten der Geisterspiele passiert oder eben nicht passiert ist, war es tatsächlich nicht unser größter Wunsch gleich als ERSTES wieder in das Stadion zu rennen, nur weil einer geschrien hat, dass wieder offen ist!  

 

Wer das tut oder getan hat, hat dafür sicher auch seine guten Gründe. Wir werden uns nicht anmaßen, darüber zu urteilen, wer, wann und wieso wieder oder nicht ins Stadion geht. Jeder muss diese komplexe Situation nach seinen Maßstäben und Erfahrungen bewerten, sie stellt sich für jeden unterschiedlich dar – für Einzelpersonen, Fanclubs. Freundeskreise oder Ultrasgruppen, ob in Nürnberg oder anderswo! Jeder hat eine andere Ausgangssituation, andere Blickwinkel, andere Prioritäten. Empörtes Fingerzeigen und peinliches Klugscheißen überlassen wir den Stammtischen. Wer sich dennoch eine Meinung erlauben will, der sollte sich wenigstens die Mühe machen, die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten vollumfänglich zu verstehen und Sätze nicht aus dem Zusammenhang zu reißen. Wir werden andere Entscheidungen über eine Stadionrückkehr daher nicht als Gradmesser für kritische Fans, gute Menschen oder schlechte Ultras ansehen. Wir sind uns sicher, jeder handelt nach seinem besten Wissen und Gewissen und trägt die Konsequenzen aus seinen Entscheidungen!

 

Apropos Gewissen: neben der moralischen Unterstützung auf den Rängen ist aber auch unser finanzieller Beitrag ein wichtiger Baustein. Daher ist es für uns selbstverständlich, Dauerkarten aufgrund der 2G-Regelung nicht zu kündigen oder die Teilbeträge für (Geister-)Spiele aufgrund geänderter Bestimmungen nicht zurückzuverlangen. Auch hier sind wir uns unserer Verantwortung bewusst und leisten unseren Beitrag!

 

Natürlich werden mittlerweile einige Glubbfans das unbeschwerte Stadiongefühl nur noch dann als solches empfinden, wenn neben ihnen nur noch Geimpfte stehen. Das müssen wir als Meinung respektieren. Leider ist es aber auch so, dass in der Politik durchaus mit Angst und Spaltung gearbeitet wird, um Ziele zu erreichen. Daher möchten wir an alle Glubbfans appellieren: Nehmt die Pandemie ernst, tragt Verantwortung, aber lasst euch auch nicht verunsichern und instrumentalisieren!

 

Ebenso ist uns bewusst, dass wir bei unserer Rückkehr – wann auch immer diese sein wird – nicht nur mit freudigen Armen empfangen werden. Unverständnis für unser Handeln wird uns selbst nach mehreren Erklärungen immer noch widerfahren. Wer ein Haar in der Suppe sucht, der wird auch eines finden. Das sind wir gewohnt. Natürlich ist auch unsere Kommunikation oftmals ausbaufähig. Wir vermissen aber immer öfter eine ehrliche und ernsthafte Auseinandersetzung damit. Gerne kontrovers, denn mit anderen Meinungen können wir nicht nur innerhalb unserer Gruppe umgehen. Wir wissen selbst, dass unser eingeschlagener Weg schwer ist. Oft sind es aber die Steine auf einem solchem Weg, die einem zeigen, dass es der richtige ist und den es lohnt zu gehen. Es hat uns in der Vergangenheit stark gemacht, nicht immer gleich den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen!

 

Die Pandemie hat uns aber auch gezeigt, dass wir Situationen immer wieder neu bewerten müssen. Was gestern noch galt, mag morgen schon widerlegt sein. Die Welt hat sich verändert. Wir Ultras neigen jedoch dazu, uns selten von einem eingeschlagenen Weg abbringen zu lassen. Mit anderen Worten: Wir gehen so lange nach Westen, obwohl Osten richtig ist – bis wir im Osten rauskommen. Ziel erreicht, aber manchmal machen wir es uns unnötig schwer und setzen leichtfertig das in uns gesetzte Vertrauen aufs Spiel. Dafür möchten wir uns entschuldigen, denn Ultras gehören ins Stadion!

 

Ultras Nürnberg 1994

 

 

 

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